MRSA Keime - Selbsthilfegruppe für Patienten und Angehörige MRSA germs - support group for patients and families with information on the disease- / - Germes SARM - groupe de soutien pour les patients et les familles avec des informations sur la maladie - / - MRSA gérmenes - grupo de apoyo para pacientes y familiares con información sobre la enfermedad Kontakt: Darmkrebs-liga e.V. Beuthstr.21 44147 Dortmund Telefon: 02383 - 9182775 Mail: patientenveranstaltungen@gmx.de mrsa-liga@gmx.de
Mittwoch, 17. August 2011
Ohne Gegenwehr
Tückischer Feind. Jedes Jahr infizieren sich 600 000 Menschen in Deutschland mit dem MRSA-Erreger. Der ist resistent gegen Antibiotika und verbreitet sich vor allem in Kliniken.
Tückischer Feind. Jedes Jahr infizieren sich 600 000 Menschen in Deutschland mit dem MRSA-Erreger. Der ist resistent gegen Antibiotika und verbreitet sich vor allem in Kliniken....
Ihr Mann lag 200 Tage lang auf der Intensivstation, künstlich beatmet, künstlich ernährt und seine Lunge voller Wasser. „Der Keim hat ihn umgebracht“, sagt Ingeborg Henz und meint einen Erreger namens MRSA. Er gilt als Krankenhauskeim und tötet jedes Jahr tausende Patienten
Vor einer Woche hat sie ihr Tagebuch verbrannt – ganz hinten im Garten, in einer Abfallgrube. „Es tat gut loszulassen“, sagt Ingeborg Henz, 70, eine zarte Frau, die viel schmaler ist als die schlanke Zeder hinter ihr. Die Asche hat der Wind längst weggetragen. Sie blickt auf den schwarzen Fleck, der übrig geblieben ist. „Ich will noch einmal neu anfangen“, hofft die Witwe, „mein Mann hätte das auch so gewollt.“
Papier lässt sich verbrennen, Erinnerungen nicht. Das weiß die Rentnerin. Trotzdem versucht sie, die Bilder und Ängste auf ihre Weise loszuwerden. 200 Tage lang lag ihr Mann in der Nähe von Duisburg auf einer Intensivstation, künstlich beatmet, künstlich ernährt, seine Lunge voller Wasser.
In ihrem Tagebuch hat sie die Monate der Verzweiflung protokolliert. „Er ist regelrecht verfault“, erzählt Ingeborg Henz, und ihre stahlblauen Augen blitzen metallisch auf. „Der Keim hat ihn umgebracht.“
Sie nennt ihn immer nur „den Keim“ und ärgert sich darüber, wie wenig über seine Gefährlichkeit aufgeklärt wird. Die Ärzte nennen ihn methicillin-resistenten Staphylococcus aureus oder kurz: MRSA, ein aggressiver Ableger eines an sich harmlosen Erregers, den viele auf der Haut oder den Schleimhäuten tragen. Für Menschen mit einem schwachen Immunsystem oder solche, die frisch operiert wurden, kann der Parasit lebensbedrohlich werden. Denn gängige Antibiotika, früher die beste Waffe gegen Krankenhauskeime aller Art, können ihm nichts mehr anhaben. Zu verschwenderisch ist der Umgang mit Antibiotika in Arztpraxen, die Erreger haben sich angepasst und aufgerüstet. In Kliniken, in denen Hygienemanagement ein Fremdwort ist und beim Putzen nicht so genau hingeschaut wird, fühlen sich die gefährlichen Keime besonders wohl. Häuser mit Bakteriennestern gibt es quer durch die Republik. Jährlich infizieren sich in Deutschland mindestens 600 000 Menschen mit Krankenhauskeimen, geschätzte 15000 sterben an bakteriellen Infektionen, etwa zehn Prozent davon durch MRSA. Und auch Kliniken machen ihre Patienten immer wieder krank, bei denen es vorher keinerlei Beanstandungen gab.
Mit ihrem Frust über die tödliche Schlamperei ist Ingeborg Henz nicht allein. Sie hat in der Zeitung gelesen, dass sich einige Leidensgenossen verbündet haben. Alle ein, zwei Monate kommen in Duisburg ein knappes Dutzend Hinterbliebene zusammen, die um ihre Liebsten trauern, weil der Erreger stärker war als die Medizin. Es ist die einzige MRSA-Selbsthilfegruppe der Republik, sie trifft sich in einem funktionalen Besprechungszimmer im Erdgeschoss eines Duisburger Altenheims. Gleich am Eingang steht ein Spender mit Desinfektionslösung, er wird oft benutzt an diesem Montagnachmittag.
Zwischen Yuccapalme, Flipchart und Aquarellen treffen sich hier Menschen, die eint, dass etwas sehr Beiläufiges den Tod in ihr Leben getragen hat. Zuerst haben sie nicht verstanden, warum. Schicksale werden aufgerollt. Sie machen das Versagen des Gesundheitssystems erschreckend plastisch.
Ganz in sich gekehrt sitzt da unter den anderen ein älterer Herr, dessen Frau an der Wirbelsäule operiert wurde. Der Eingriff war Routine, was danach kam die Hölle. Die Wunde wollte zu Hause nicht heilen, der Eiter fraß sich fest, und die Schmerzen hörten nicht mehr auf. Mit dem Notarzt kam die Rentnerin in ein anderes Krankenhaus, wo plötzlich ein Schild an der Tür hing: „MRSA-Patientin“. Ihr Zustand verschlechterte sich weiter, es versagten die Nieren, die Leber, und schließlich gab auch das Herz auf. „Sie hat sich den Keim vermutlich bei der Rücken-OP eingefangen“, mutmaßt der Witwer, „zwei Zimmer weiter lag eine Infizierte.“ Was den 72-Jährigen am meisten ärgert: „Bis heute wird verschwiegen, woran meine Frau verstorben ist.“
Bärbel Bas senkt den Altersdurchschnitt der Runde an diesem Nachmittag. Die SPD-Bundestagsabgeordnete ist in Sachen Krankenhauskeime ausgesprochen kompetent. Die 43-Jährige wird herzlich begrüßt, ihr wird gedankt, weil sie vor kurzem im Bundestag eine Brandrede für mehr Infektionsschutz im Krankenhaus gehalten hat. Ein letzter Versuch zu retten, was nicht mehr zu retten war. Die Regierung hat ein Gesetz beschlossen, das Anfang August in Kraft trat und nun von den Ländern in Verordnungen gegossen werden soll. Es verpflichtet Krankenhäuser, Hygienestandards einzuhalten, wie sie das Robert-Koch-Institut formuliert hat. Dazu gehört auch mehr Fachpersonal für Hygiene und Prävention in Kliniken.
Aber Bas meint: „Der Regierung hat der Mut gefehlt.“ Die Enttäuschung über das ihrer Ansicht nach viel zu lasche Gesetz ist der Frau im grauen Hosenanzug deutlich anzumerken. Sie spricht davon, dass es Jahre dauere, bis die Maßnahmen greifen. „Wir wollten verpflichtend Screenings bei der Aufnahme im Krankenhaus.“ Jeder neue Patient müsste auf MRSA getestet werden. Eine Forderung, die alle im Raum sofort unterschreiben würden. „Lasst uns auf die Straße gehen“, ruft eine der Rentnerinnen dazwischen. Andere nicken. „Alle reden über den Scheißgurkensalat, jedes Kind weiß über Ehec Bescheid, MRSA kennt kaum jemand“, mokiert sich einer, der die Attacke des Bazillus fast nicht überlebt hätte. „Ich war in sieben Kliniken, eine miserabler als die andere.“
Die Bitte aus der Ecke hinten links, nicht alle gleichzeitig zu reden, ist längst verhallt. Die Raumtemperatur nimmt zu, die Entrüstung Einzelner ebenso. „Daran müsste mal Frau Merkel erkranken, dann würde gehandelt werden“, raunzt ein älterer Herr. Vielleicht denkt man so, wenn nicht verwunden werden kann, dass der plötzliche Verlust des geliebten Menschen vermeidbar gewesen wäre. „Ich kenne nur wenige Kliniken, wo vor jedem Zimmer ein Desinfektionsmittelspender hängt“, ergänzt der Betreiber eines privaten Rettungsdienstes in Duisburg, der zu Gast ist in der Runde. Regelmäßig würden zwei Stationen in der Stadt geschlossen, fährt er fort, weil sich die Patienten reihum infizierten. Die Namen der Häuser behält er für sich.
Dabei ist es von hier aus gar nicht so weit, um auf garantiert MRSA-freien Boden zu gelangen. Eine gute Zugstunde entfernt, im Universitätsklinikum Münster, wird gemacht, was in ganz Deutschland gemacht werden sollte: Krankenhauskeime jagen. Das Kommando hat Frank Kipp, leitender Krankenhaushygieniker, der kräftig fremde Hände drückt, aber penibel darauf achtet, seine zu desinfizieren, bevor er zu einem Patienten geht. „Unser Ziel ist Prävention“, sagt der Mikrobiologe. In Münster werde jeder Patient gescreent, sagt er, und stolz schwingt in seinen Sätzen mit: Besser geht es nicht.
In der chirurgischen Unfallklinik auf der anderen Straßenseite führt ein Pfleger vor, wie simpel die Prozedur ist. „Nicht erschrecken“, warnt er und fährt mit Wattestäbchen einmal in die Nase, einmal in den Rachen. Wer MRSA-positiv ist, wird gut eine Woche lang isoliert.
So ist es der 46-jährigen Patientin ergangen, die nachts mit einem Bruch an der Wirbelsäule eingeliefert wurde. Die Nasensalbe, die eines der letzten Antibiotika enthält, das gegen MRSA wirkt, findet sie „eklig“. Den Rest, Gurgellösung und gründlich Waschen mit desinfizierender Seife, absolut erträglich. Etwas apathisch liegt die Patientin in ihrem Einzelzimmer – sie soll ferngehalten werden von der Welt und die Welt von ihr. Denn jeder, der sie besucht, muss sich vermummen. Mundschutz, Haube über die Haare, grüner Papierkittel sind Pflicht. „Das frisst Zeit“, sagt die Krankenschwester und versucht, das Rein und Raus aufs Nötigste zu reduzieren. Und was für Kliniken ebenfalls ein Kriterium ist: Die Quarantäne ist teuer, das zweite Bett im Zimmer kann nicht belegt werden.
Da fragen sich viele, ob der Aufwand berechtigt ist. Die Routineuntersuchung sei nicht immer leicht zu kommunizieren, räumt Kipp ein. „Die Patienten kommen wegen einer Hüftoperation und erfahren, dass sie einen Erreger in der Nase haben, der behandelt werden muss.“ Sie spürten nichts von dem Keim, nun haben sie plötzlich ein weiteres Problem.
Doch der Aufwand lohne sich, sagt der Arzt, rein rechnerisch, wenn man die möglichen Folgekosten bedenkt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Keime heftig zuschlagen, ist hoch. Eine US-amerikanische Studie mit 209 frisch MRSA-Infizierten hat dokumentiert, dass mehr als ein Viertel der Patienten innerhalb von 18 Monaten an einer Blutvergiftung erkrankt. Die Zahl derer, die eine Lungenentzündung bekamen, liegt bei 56 Prozent. Meist wissen Ärzte zunächst nicht, welches Gegenmittel sie auf den Erreger ansetzen sollen, dann ist es auch für das richtige zu spät.
Abgeschaut hat sich die Uniklinik Münster ihr Hygienekonzept vom Nachbarland Holland, wo es die Keime ausgesprochen schwer haben zu überleben. Mit ihrer Nulltoleranzpolitik haben die Niederländer es geschafft, ihre MRSA-Rate extrem niedrig zu halten: unter drei Prozent. In Deutschland dagegen beträgt der Anteil von antibiotikaresistenten Staphylokokken-Stämmen rund 25 Prozent. Das heißt, jede vierte Infektion ist nicht oder kaum noch behandelbar.
Um die Verbreitung einzudämmen, ist 2009 ein groß angelegtes EU-Modellprojekt begonnen worden. Für Ingeborg Henz und ihren verstorbenen Mann kommen solche Kooperationen zu spät. „Warum wird der Tod so vieler Menschen billigend in Kauf genommen“, will sie wissen und hat sich dennoch dagegen entschieden, die Ärzte zu verklagen. „Zu nervenaufreibend, das zieht sich Jahre hin“, sagt sie. Und es bringe Horst, die große Liebe ihres Lebens, auch nicht mehr zurück. Sein Wollhut liegt noch auf der Garderobe im Duisburger Reihenhaus, sein Spazierstock aus Wurzelholz lehnt an der Tür zum Garten.
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