Montag, 10. September 2012

Dem Tripper wehrlos ausgeliefert


Tripper, das klingt nach Kavalierskrankheit. Lästig, ein bisschen peinlich, aber harmlos. Schließlich gibt es Antibiotika, die die Erreger zuverlässig töten. Doch wer so denkt, der irrt. Seit kurzem warnt die WHO, dass sich die Gonorrhoe, wie die Krankheit korrekterweise heißt, schon bald in ein unheilbares Leiden verwandeln könne. Denn die Gonorrhoe scheint wieder auf dem Vormarsch zu sein.
Nach Angaben der WHO stecken sich jedes Jahr weltweit gut hundert Millionen Menschen beim Geschlechtsverkehr mit Gonokokken an. „Für viele Patienten könnte es in absehbarer Zeit keine Heilung mehr geben“, befürchtet die WHO-Expertin Manjula Lusti-Narasimhan. Zahlreiche Erreger seien inzwischen selbst gegen moderne Breitband-Antibiotika, die Cephalosporine, resistent. Ältere Antibiotika wie Penicilline oder Tetracycline können gegen die Erreger schon lange nichts mehr ausrichten. Auch neuere Mittel wie Chinolone und Makrolide haben an Wirkung eingebüßt.
Infektion in der Sauna
Inzwischen gibt es aus Australien, Frankreich, Japan, Norwegen und Schweden alarmierende Berichte über Erreger, denen selbst Cephalosporine der dritten Generation nichts mehr anhaben können. In Österreich wurde der Fall eines Patienten publik, bei dem die Arzneien versagten. Der Mann hatte sich in einer Münchner Schwulen-Sauna angesteckt.
Unbehandelt breitet sich die Entzündung aus – bei Frauen auf Gebärmutter, Eileiter und Bauchfell, bei Männern von der Harnröhre auf Nebenhoden und Prostata. Frauen wie Männern droht Unfruchtbarkeit. Die Keime können sogar eine Hirnhautentzündung oder Blutvergiftung hervorrufen, mitunter mit tödlichem Ausgang.
Sogar Küssen kann riskant sein
Die Gonorrhoe, meist Tripper genannt, zählt zu den häufigsten sexuell übertragbaren Krankheiten. Auslöser sind Bakterien der Art Neisseria gonorrhoeae. Sie befallen vor allem die Schleimhäute der Geschlechtsorgane und der Harnwege, mitunter auch Darm, Rachen und Augenbindehaut. Die Erreger werden meist durch ungeschützten Geschlechtsverkehr übertragen.
Schon beim Küssen ist eine Ansteckung möglich, wenn die Rachenschleimhaut befallen ist.
Bei Männern tauchen die ersten Symptome wenige Tage nach der Infektion auf. Charakteristisch sind ein eitriger Ausfluss aus der Harnröhre am Morgen sowie Schmerzen beim Wasserlassen. Eine Infektion im Rachen führt allenfalls zu leichten Halsschmerzen.
Bei Frauen stellen sich die Symptome später ein und sind in der ersten Zeit kaum oder nur milde ausgeprägt. Typisch sind eitriger Ausfluss, häufiger Harndrang und Schmerzen beim Wasserlassen.
Wer eine Infektionvermutet, sollte möglichst rasch einen Arzt aufsuchen. Auch einige Gesundheitsämter bieten anonyme und vielfach kostenlose Tests an.
„Bislang haben wir es noch immer geschafft, eine Gonokokken-Infektion zu heilen“, beruhigt Norbert Brockmeyer, der Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft (DSTIG). Die Abkürzung STI steht für den englischen Begriff sexually transmitted infections, auf Deutsch sexuell übertragbare Erkrankungen.
Um Infektionen mit resistenten Erregern zu bekämpfen, sind jedoch scharfe Waffen vonnöten: „In den meisten Fällen muss eine Kombination mehrerer Antibiotika in hoher Dosierung verabreicht werden“, sagt Brockmeyer. Die Berichte von resistenten Bakterien sieht er als eine Aufforderung zum Handeln an. „Solange wir keine neuen Medikamente haben, müssen wir unsere jetzige Therapie überdenken“, sagt er. Die DSTIG erarbeite derzeit neue Leitlinien, nach denen die Ärzte eine Gonorrhoe behandeln sollen. „Künftig werden wir immer eine Therapie mit zwei Wirkstoffen und in höherer Dosierung als bisher verordnen“, sagt Brockmeyer.
So neu die Besorgnis der STI-Experten ist, so alt sind die Ursachen für die zunehmende Resistenz. „Die Gründe sind immer die gleichen“, klagt Susanne Buder vom Konsiliarlaboratorium für Gonokokken, das am Berliner Vivantes Klinikum Neukölln angesiedelt ist.
„Vor allem in Ländern, in denen Antibiotika frei verkäuflich sind, zum Beispiel in Südostasien, werden die Medikamente oft zu kurz oder in zu geringer Dosis eingenommen.“ Hinzu komme, dass in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern Antibiotika nicht in ausreichender Menge oder Qualität vorhanden seien.
Erreger sind wandelbar
Bakterien, die aufgrund ihrer genetischen Ausstattung weniger empfindlich auf ein Medikament reagieren, können sich ungehindert vermehren. „Wir wissen inzwischen, dass etwa alle zehn Jahre neue Antibiotika nötig sind, da die alten dann an Wirkung verloren haben“, sagt Susanne Buder.
Doch selbst die modernsten Tripper-Medikamente sind schon seit dem vorigen Jahrtausend auf dem Markt. Und rasche Hilfe ist nicht in Sicht. Zwar werden derzeit einige neue Antibiotika getestet, die womöglich auch gegen Gonokokken helfen. „Mir ist aber keine einzige Studie bekannt, in der eine neue Arznei explizit auf ihre Wirkung gegen die Gonorrhoe getestet würde“, sagt Brockmeyer. Auch Buder glaubt, dass noch mindestens fünf bis zehn Jahre vergehen werden, bis neue Tripper-Medikamente auf den Markt kommen.
Noch trüber sind die Aussichten auf einen Impfstoff. Zwar gibt es weltweit ein paar Dutzend Forscher, die eine Vakzine gegen die Gonorrhoe zu entwickeln versuchen. Bislang ist aber noch kein einziger Ansatz über das Tierversuchsstadium hinausgekommen – zu trickreich, zu wandelbar sind die Erreger.
Noch bis vor kurzem ging man davon aus, dass die Infektion mit Medikamenten leicht in den Griff zu bekommen ist, die Erkrankungszahlen waren rückläufig. Man fühlte sich auf der sicheren Seite. Und zwar so sehr, dass das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) im Jahr 2001 die Meldepflicht für Gonokokken abschaffte, HIV und Syphilis blieben meldepflichtig.

Mittlerweile denkt man beim BGM darüber nach, den Schritt rückgängig zu machen. „Wir brauchen dringend bundesweite Daten zu Infektionszahlen und Resistenzen“, sagt Viviane Bremer von der Abteilung für Infektionsepidemiologie des Berliner Robert-Koch-Instituts (RKI), das dem Ministerium unterstellt ist. „In ganz Europa gibt es, was die Erkrankungszahlen angeht, seit ein paar Jahren einen leichten Aufwärtstrend“, sagt sie. In den meisten Ländern Europas gibt es eine Meldepflicht für Gonokokken. „Hierzulande wissen wir hingegen nicht so recht, was los ist“, beklagt Bremer.
Anonyme Meldepflicht
Daten aus Sachsen, wo die Labore Gonokokken-Infektionen melden, lassen zumindest vermuten, dass die Infektionswelle auch Deutschland nicht verschont hat: Wurden in dem Bundesland im Jahr 2003 noch 6,8 Infektionen pro 100.000 Einwohner registriert, waren es 2010 bereits 14,3. „Der Anstieg könnte zwar zum Teil daran liegen, dass heutzutage mehr getestet wird und bessere Tests verfügbar sind“, sagt Bremer. Aber eben nur zum Teil.
„Wir beobachten in letzter Zeit einen deutlichen Anstieg bei Männern, die Sex mit Männern haben“, sagt Norbert Brockmeyer. „Und wir wissen, dass fast zwanzig Prozent von ihnen keine Prävention betreiben.“ Zudem gebe es seit einiger Zeit einen Trend zu vermehrtem Oralverkehr – vielleicht weil dabei das Risiko gering ist, sich mit HIV zu infizieren. Eine Gonorrhoe kann man sich auf diesem Wege aber sehr wohl holen.
„Eine Meldepflicht würde auch dabei helfen, mehr über die Ursachen für die steigenden Erkrankungszahlen herauszufinden“, sagt Brockmeyer. So könne eine regionale Häufung darauf hindeuten, dass die Ansteckung vor allem in einem bestimmten Club erfolge: „Es wäre so möglich, die Menschen dort ganz gezielt anzusprechen und sie zur Therapie oder dem Gebrauch von Kondomen zu bewegen.“
Viviane Bremer und ihre Kollegen am RKI arbeiten derzeit eine Stellungnahme aus, die sie dem BMG in Kürze vorlegen werden. Die konkrete Umsetzung der Empfehlung obliegt dem Ministerium. Als wahrscheinlich gilt eine anonyme Meldepflicht über die Labore.
Und noch eine zweite Neuerung will das RKI vorschlagen: So sollen die Kassen künftig verpflichtet werden, Tests auf eine mögliche Infektion auch dann zu bezahlen, wenn keine Symptome vorliegen. Denn vielfach kann die Krankheit nur so frühzeitig erkannt und behandelt werden. „Sich vor einer Gonorrhoe zu schützen, ist nicht so schwer“, sagt Viviane Bremer. Am sichersten ist zwar noch immer die Monogamie. Doch auch wer seine Partner häufig wechselt, kann das Risiko mit Kondomen und regelmäßigen Tests zumindest minimieren.


Quelle / Volltext http://www.fr-online.de


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen